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2024-09-05
Annabelle Theobald

Effizientere Berechnungen in komplexen Netzwerken: ERC Starting Grant für CISPA-Faculty Dr. Sebastian Brandt

Strom- und Wasserversorgung, Transportwege, soziale Medien, Mobilfunk und nicht zuletzt das Internet: Unsere Welt besteht aus Netzwerken. Milliarden von Computern, Servern, Routern, Sensoren und Menschen sind darin verbunden. Damit das Zusammenspiel funktioniert, braucht es neben immenser Rechenpower auch viel Kommunikation und die braucht bekanntlich Zeit. CISPA-Faculty Dr. Sebastian Brandt will mit seinem Projekt „OLA-TOPSENS” dafür sorgen, dass alles, was lokal berechnet werden kann, auch lokal berechnet wird, um so Zeit und Rechenressourcen zu schonen und Probleme effizient zu lösen. Der European Research Council fördert seine Arbeit an sogenannten topologie-sensitiven Algorithmen mit rund 1,5 Millionen Euro über die nächsten fünf Jahre.

„Es besteht kaum ein Zweifel daran, dass die Zukunft des Rechnens in der Verteilung liegt“, sagt Sebastian Brandt. Das rasante Wachstum von Netzwerken und Datenmengen in den vergangenen Jahren gibt ihm Recht, ebenso wie die Komplexität der Probleme, die wir anhand der vielen gesammelten Daten zu lösen versuchen. Brandt beschäftigt sich in seiner Forschung schon seit Jahren mit sogenanntem verteilten Rechnen und mit der Frage, wie das sich noch effizienter, sprich schneller und ressourcenschonender gestalten lässt. „Ein Schlüsselkonzept für mehr Effizienz ist Lokalität, das heißt Berechnungsprobleme zu lösen, indem jeder Netzwerkknoten nur aus seinem direkten Umfeld Informationen bezieht und nicht auf Informationen weit verzweigt im Netzwerk zurückgreifen muss.“ Die Kommunikation über das Netzwerk hinweg ist zeitaufwendig, da jeder Netzwerkknoten – wie etwa ein Computer oder Router – nur mit seinem direkten Nachbarn kommunizieren kann. Wollen weit entfernte Rechner Informationen austauschen, braucht es dazu einige Kommunikations-runden und jede braucht Zeit.

Lokalität versus Topologie

Lokalität in der Informatik hat dabei nicht notwendigerweise mit geografischer Nähe von Netzwerkknoten zu tun. Lokalität beschreibt vielmehr den Umfang der Informationen oder Interaktionen, die mit einem bestimmten Knoten in Beziehung stehen. Was jedoch für die Lokalität eine Rolle spielt ist die Topologie von Rechnernetzen, also die Anordnung der Rechenpunkte und Leitungen. So können zwei Server in weit entfernten Städten, wie etwa München und Hamburg, als Teil eines Unternehmensnetzwerkes durch eine schnelle Glasfaserverbindung verbunden und aus topologischer Sicht lokale Nachbarn sein. Umgekehrt könnten zwei Computer in derselben Stadt, aber in unterschiedlichen Netzwerken sein – ohne direkte Verbindung. Topologisch gesehen wären sie dann nicht lokal zueinander, selbst wenn ihre physische Entfernung gering ist. Die Topologie eines Netzwerks beeinflusst auch die Menge der lokal verfügbaren Informationen. So hat in einem dicht vernetzten System ein Knoten mehr Nachbarn und somit mehr lokale Informationen als ein Knoten in einem spärlich vernetzten System.

Topologie-sensitive Algorithmen sind der Schlüssel

Zwischen Topologie und Lokalität gibt es noch einen weiteren Zusammenhang, der für Brandts Forschung elementar ist: Lokale Algorithmen können spezifische Eigenschaften der Netzwerktopologie ausnutzen, um effizienter zu arbeiten. Bei simplen Aufgaben klappt das auch heute schon. So kann laut Brandt etwa ein soziales Netzwerk seinen Nutzer:innen Vorschläge für neue Freund:innen machen, indem es sich nur den bereits vorhandenen Freundeskreis (und damit die direkten Nachbarknoten) anschaut, und darauf basierend neue Verbindungen vorschlägt. „So einfach wie in diesem Beispiel ist es je nach Komplexität von Aufgabe und Netzwerk aber leider nicht“, erklärt Brandt. In seinem Projekt „OLA-TOPSENS” will er deshalb zu einem grundlegenden Verständnis der Nutzbarkeit, aber auch der Grenzen der Nutzbarkeit lokaler Informationen kommen und unter den gegebenen Beschränkungen effiziente topologie-sensitive Algorithmen entwickeln. „Diese sollen auch in komplexen und wachsenden Netzwerken und Datenmengen angewandt werden können“, sagt der Forscher. Brandt ist überzeugt, dass die Nutzung lokaler Informationen in vielen Bereichen der Algorithmik nützlich sein wird, etwa bei klassischen sequentiellen, dynamischen, sublinearen, Streaming- und Online-Algorithmen. „Wenn uns gelingt, was wir vorhaben, können wir damit einige seit Jahrzehnten vorherrschenden Berechnungsprobleme lösen“, sagt der Forscher.

Glückwünsche der EU-Kommission

Iliana Ivanova, EU-Kommissarin für Forschung, Innovation und Bildung sagt: „Die Europäische Kommission ist stolz darauf, die Neugierde und Leidenschaft unserer Nachwuchstalente im Rahmen unseres Programms Horizont Europa zu unterstützen. Die neuen ERC-Starting-Grant-Gewinner:innen haben das Ziel, unser Verständnis der Welt zu vertiefen. Ihre Kreativität ist entscheidend, um Lösungen für einige der dringendsten gesellschaftlichen Herausforderungen zu finden.  Ich freue mich, dass diesmal der Anteil der weiblichen Geförderten mit am höchsten ist, ein Trend, der sich hoffentlich fortsetzen wird. Herzlichen Glückwunsch an alle!“

Zur Person

Sebastian Brandt ist seit dem Jahr 2021 leitender Wissenschaftler am CISPA. Zuvor war er in der Discrete and Distributed Algorithms Group Postdoc an der ETH Zürich, wo er 2018 auch promovierte. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit Fragen aus dem Bereich der theoretischen Informatik, vor allem mit Themen des Entwurfs und der Analyse von Algorithmen. Über den ERC Starting Grant freut er sich sehr. „Ich freue mich riesig und bin sehr dankbar, dass ich den Forschungsfragen, denen ich schon immer nachgehen wollte, mit dieser Förderung so intensiv Zeit und Ressourcen widmen kann.“ 

 Über den ERC

Der ERC, der 2007 von der Europäischen Union gegründet wurde, ist die wichtigste europäische Förderorganisation für exzellente Pionierforschung. Er finanziert kreative Forschende aller Nationalitäten und Alters, um Projekte in ganz Europa durchzuführen. Der ERC bietet vier zentrale Förderprogramme an: Starting Grants, Consolidator Grants, Advanced Grants und Synergy Grants. Mit seinem Proof of Concept Grant hilft der ERC den Geförderten, die Lücke zwischen ihrer bahnbrechenden Forschung und den frühen Phasen ihrer Kommerzialisierung. Der ERC wird von einem unabhängigen Leitungsgremium, dem wissenschaftlichen Rat, geleitet. Seit November 2021 ist Maria Leptin ist die Präsidentin des ERC. Das Gesamtbudget des ERC für den Zeitraum 2021 bis 2027 beträgt mehr als 16 Milliarden Euro und ist Teil des Programms Horizont Europa, für das die Europäische Kommissarin für Innovation, Forschung, Kultur, Bildung und Jugend, Iliana Ivanova, verantwortlich ist.