„Du musst vom Ende her denken“: Interview mit Prof. Dr. Andreas Zeller
Als deine Kinder noch klein waren, wie hast du ihnen da erklärt, was genau deine Arbeit ist?
Ich hab‘ ihnen sowas gesagt wie: ‚Ich hab hier diese Maschine und ich bringe ihr bei, was sie tun soll und manchmal tut sie nicht, was sie tun soll, und dann baue ich andere Maschinen, die helfen, diese Maschine zu reparieren.‘
Das ist eine schöne Erklärung.
‚Ich habe einen Computer und was ich will, das tut er‘, steht in einem Kinderbuch von Janosch.
Die erste Lüge, die Kindern erzählt wird.
Ja, ich hab‘ dann ergänzt: ‚Und manchmal tut er nicht, was ich will, und dann baue ich einen zweiten Computer und der repariert dann den ersten. Und dann baue ich einen dritten Computer…‘
Und wie lang muss die Kette fortgeführt werden, bis endlich irgendwas funktioniert?
Auf die Idee sind meine Kinder dann auch gekommen. Sie hatten unheimlich Spaß daran, sich die reparierenden Computer vorzustellen. Sie haben die Kette dann immer weiter und weiter geführt.
Und wo hat sie geendet?
Bei mir. Ich reparierte den vierten Computer (lacht).
Du bist nicht nur als Forscher, sondern auch als Kommunikator sehr aktiv. Du nutzt Twitter, hast einen eigenen Blog, erreichst als Professor an der Uni des Saarlandes in jedem Semester Hunderte Informatik-Studierende…
Ja, das ist mein Steckenpferd. Für mich als Forscher ist es wichtig, nach Wegen zu suchen, wie ich eine möglichst breite und große Wirkung erzielen kann.
Tatsächlich überlege ich mir bei jedem neuen Forschungsthema auch gleich, wie sich das, was ich gemacht habe, am Ende in möglichst knapper Form darstellen lässt.
Ich könnte mir vorstellen, dass du während des gesamten Prozesses daran arbeiten musst, bei all der Komplexität nicht aus dem Blick zu verlieren, worum es eigentlich geht und welches Problem gelöst werden soll.
Richtig. Du musst, wenn du so willst, vom Ende her denken. Letztlich will ich auch nicht in irgendeiner Nische sitzen und dort meine Fortschritte machen und dann jedes Mal, wenn ich jemandem erklären muss, was ich tue, erstmal ganz viel Kontext liefern. Das könnte dann eine lange lange Geschichte werden. Ich versuche stattdessen Dinge zu tun, die unabhängig von einem spezifischen Kontext verstanden werden. Das führt umgekehrt auch dazu, dass ich die Wirkung meiner Forschung maximieren kann.
Das funktioniert wahrscheinlich nicht für alle Forschungsthemen, oder?
Nein, das geht nicht immer. Es wurde ja auch schon sehr vieles erforscht. Aber mein wissenschaftliches Training, meine wissenschaftliche Herangehensweise ist es, immer den allgemeinsten Zugang zu finden. Das bedeutet auch Dinge zuzuspitzen. Und ich möchte auch Sachverhalte in Kürze und, sagen wir, titelgerecht ausdrücken können. Es macht mir übrigens großen Spaß, bei wissenschaftlichen Publikationen immer kürzere Titel als andere Forschende zu haben.
Sind deine Titel dann eher sachlich oder auch mal kreativer?
Ich habe beides schon gemacht. Entweder sind sie kurz und knapp und erheben einen sehr allgemeinen Anspruch oder sie erzählen gleich eine Geschichte. Eines meiner wichtigsten Papiere heißt zum Beispiel „Yesterday my program worked. Today it does not. Why?“. Das hat damals auf der Konferenz für Aufsehen gesorgt. Mein Doktorvater hatte mich dafür aber gerügt. Ihm war der Titel zu journalistisch. Aber da treffen sich eben die Ziele des Journalismus und der Wissenschaft – in der Wissenschaftskommunikation.
Was genau hast du davon, wenn du deine Erkenntnisse nicht nur an die Forschungsgemeinschaft, sondern auch an die breite Öffentlichkeit weitergibst?
Ganz ehrlich: Es bringt mir Ruhm und Ehre. Wenn ich in der Lage bin, das was ich tue, in wenigen Sätzen oder sogar in nur einem zu erklären und natürlich vor allem, wenn es das, was ich mache, zuvor noch nicht gab, dann verbinden die Leute das mit meinem Namen. Das ist auch in gewisser Weise Marketing. Wir erfüllen als Forscher aber natürlich auch eine gesellschaftliche Aufgabe und da ist es für mich wichtig, der Gesellschaft auch zu erklären, was ich mache. Und das muss ich dann auch in einer Form machen, in der Gesellschaft und Politik auch verstehen können, warum diese Forschung so supercool ist. Ich könnte mich stattdessen auch hinstellen und meine Arbeit so verklausuliert erklären, dass sie niemand versteht, und dann sagen alle: ‚Oh, der Andreas ist ja ein toller Hecht, der macht Sachen, die kein Mensch versteht.‘ Aber dann muss ich natürlich auch begründen, warum ich das mache und was dabei herauskommt. Und was habe ich dann davon, wenn das nur zehn Menschen auf der Welt verstehen? Und alle anderen müssen hoffen, dass irgendwann jemand erklären kann, warum das wichtig ist. Ich gehe da lieber einen anderen Weg. Ich will zum Beispiel auch den Taxifahrer erreichen und wenn er das dann gut findet, erzählt er es vielleicht einigen Menschen weiter.
Ich würde gerne noch auf zwei für mich perfekte Beispiele für gelungene Wissenschaftsvermittlung zu sprechen kommen: Dein „Fuzzing Book“ und ebenso der Nachfolger „Debugging Book“. Wie bist du auf die Idee gekommen, dein Wissen so aufzubereiten? Das sieht nach viel Arbeit aus.
Ich schlage damit mehrere Fliegen mit einer Klappe. Es handelt sich in erster Linie um Lehrmaterial, es sind interaktive, digitale Lehrbücher. Ich wollte mir unbedingt die Mühe machen, sie richtig und gut zu machen. Da sie in Coronazeiten entstanden sind, war auch wichtig, dass die Bücher auch aus der Ferne bearbeitet werden können. Dann habe ich noch Videos dazu aufgezeichnet, damit alles beisammen ist. Heute ist das sehr praktisch. Ich kann mich in der Lehre etwas mehr zurücklehnen und die Leute auf die Bücher verweisen. Wir können die Vorlesungen dann auch mal zur Diskussion anderer Themen nutzen. Das macht mir auch Spaß. Grundsätzlich sehe ich in solchen multimedial aufbereiteten Büchern die Zukunft der Lehre. Sie sind praktisch, online verfügbar und immer auf dem neuesten Stand, wenn sie ordentlich gepflegt werden.
Die Bücher sind nicht nur für Studierende zugänglich, sondern für alle. Warum?
Sie dienen gleichzeitig auch als Werbung für unsere Forschungsinhalte. Ich füge auch immer wieder neue Kapitel hinzu und sorge damit auch für die Zugänglichkeit unserer Forschung. Und ich mache mir damit einen Namen als Dozent. Die Bücher ziehen mittlerweile tatsächlich auch schon Studierende hier an die Uni, die online meine Tutorials gesehen haben und das gut finden.
Warum ist das Recruiting des Nachwuchses für euch so wichtig?
Wir brauchen mehr Leute in den Cybersecurity-Studiengängen und generell mehr Studierende in Saarbrücken. Auch weil wir als CISPA sehr schnell wachsen. Es gelingt uns derzeit sehr gut, leitende Wissenschaftler:innen für das Zentrum zu begeistern. Sie alle haben dann aber ja auch wieder Stellen an Doktorand:innen und Postdocs zu vergeben, die besetzt werden wollen. Wir müssen deshalb alle daran arbeiten, dass CISPA und Saarbrücken interessant für den Nachwuchs sind.
Lieber Andreas, vielen Dank für deine Zeit und das Gespräch.