„Ohne Spaß und Leidenschaft kein Erfolg“: Ein Gespräch mit CISPA-Aufsichtsratsmitglied Dr. Siegfried Dais
Im Juni haben Sie an ihrer ersten Sitzung im Aufsichtsrat des CISPA teilgenommen. Sie kennen das Zentrum aber schon seit Sie 2017 der Kommission vorsaßen, die über den Eintritt des CISPA in die Helmholtz-Gemeinschaft beriet. Wie haben Sie die Entwicklung des Zentrums seitdem wahrgenommen?
Als Physiker kommt mir da ganz spontan das Bild eines Atomgitters in den Kopf. In einem Gitter sitzt jedes Atom auf einem wohl definierten Platz. Nun versucht man, ein neues Atom in dieses Gitter einzubringen. Die Atome drumherum erfahren dann Kräfte und das Gitter verändert sich. Das neue Teilchen schafft sich sein Umfeld und dann dauert es eine gewisse Zeit, bis das Gitter in einen neuen, energetisch optimalen Zustand übergeht. So ähnlich ist es mit CISPA passiert.
In der Gründungsphase gab es natürlich unterschiedliche Positionen zu CISPA, denn das Zentrum kam neu in eine Gemeinschaft hinein, die Helmholtz-Gemeinschaft. Es ist gelungen, die Randbedingungen am Anfang so zu definieren, dass CISPA seinen Platz auf einem Zwischengitterplatz finden konnte. In den letzten Jahren war es dann die Aufgabe von CISPA, sich in diesem Gitter richtig einzuordnen. Ich glaube, das ist gut gelungen.
Aus der Ferne gesehen hat CISPA eine bewundernswerte Entwicklung genommen. Rascher Personalaufbau, ohne den hohen Anspruch an die wissenschaftliche Qualifikation zu reduzieren. Aufbau einer Administration, die die Arbeit der Wissenschaftler unterstützt. Bereitstellung der erforderlichen Räumlichkeiten. Gleichzeitig zeigen die gewonnenen ERC-Grants und die hochkarätigen Veröffentlichungen die wissenschaftliche Exzellenz. Da kann ich allen an dem Erfolg Beteiligten nur gratulieren, allen voran Herrn Prof. Backes.
Was ist in Ihren Augen der gesellschaftliche Auftrag, den das CISPA erfüllt?
Heute leben wir in einer Welt, in der sich Angreifer und Verteidiger ein Wettrennen im Bereich von Cybercrime liefern. Die Frage ist, wer ist schneller in der Identifikation von Schwachstellen: die Verteidiger, in dem sie diese beseitigen, oder die Angreifer, in dem sie diese nutzen. Das ist das heutige Spiel, nach meinem Verständnis. Ich träume von einer Welt, in der es Software-Systeme gibt, die auf Basis mathematischer Beweise sicher sind und keine sicherheitsrelevanten Schwachstellen mehr haben. CISPA ist dazu berufen, hier einen ganz entscheidenden Beitrag zu liefern.
Sie waren Geschäftsführer der Robert Bosch GmbH sowie Gesellschafter Robert Bosch Industrietreuhand trugen unter anderem die Verantwortung für den Zentralbereich Forschung und Vorausentwicklung. Sie kennen sich also sehr gut aus mit der Schnittstelle von Forschung und Wirtschaft. Wie bewerten Sie die wirtschaftliche Relevanz der CISPA-Forschung?
Zunächst eine Vorbemerkung. Forschung und Vorausentwicklung in einem Unternehmen ist auf den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens ausgerichtet. Die Herausforderung besteht darin, heute die Fragen zu stellen, deren rechtzeitige Beantwortung in fünf bis zehn Jahren den Erfolg des Unternehmens bestimmen wird. Dabei gilt es, durch Erkenntnisse Wettbewerbsvorteile zu erreichen, und zwar möglichst viele Erkenntnisse für jeden eingesetzten Euro. Diese kurze Charakterisierung zeigt, dass es – abgesehen von der Finanzierung, die bei CISPA anders aussieht als in einem Unternehmen – durchaus Parallelen gibt. Dabei sind die Ergebnisse nicht auf ein einzelnes Unternehmen gerichtet, sondern dienen der Gesellschaft als Ganzes.
Was sind die Herausforderungen, vor denen die Gesellschaft in fünf oder zehn Jahren stehen wird? Das ist die große Frage. In einer Welt, in der Menschen und Wertschöpfungsketten weltweit vernetzt sind, gilt es, die Persönlichkeits- und Eigentumsrechte aller Entitäten zu schützen. Damit sind wir, wenn ich mir die Forschungsbereiche so anschaue, unmittelbar im Zentrum von CISPA. Die Forschungsfelder, denen sich CISPA verschrieben hat, zielen auf den Kern dieser Herausforderungen. Und das wirtschaftliche Potential ist riesig. Cybercrime verursacht weltweit Schäden von rund 1 Billion Dollar pro Jahr, das sind rund 1 Prozent des weltweiten BIP. Das ist eine riesige Summe. Das wirtschaftliche Potential, das durch erfolgreiche Arbeit am CISPA erschlossen werden kann, ist nahezu unendlich.
Das CISPA versteht sich auch als Kaderschmiede für die nächste Generation von Cybersicherheitsexperten. Sie selbst haben in Physik promoviert und waren viele Jahre in hochrangigen Forschungseinrichtungen als Gremienmitglied tätig. Wie sehen Sie die gesellschaftliche Bedeutung der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung?
Universitäten und Forschungseinrichtungen sind die Brutstätten des wissenschaftlichen Nachwuchses, ohne den die Wirtschaft nicht funktionieren kann. Und ohne erfolgreiche Wirtschaft kein Wohlstand. Ich glaube, da sind beide wirklich aufeinander angewiesen.
Ich möchte auf einen mir wichtigen Aspekt hinweisen. Neben der Quantität kommt es vor allem auf die Qualität an. Ich habe in meinem Berufsleben mehrfach erlebt, dass kleine Teams aus TOP-Leuten, die oft unterschiedliche Denkschulen vertraten, extrem viel leistungsfähiger waren als manch große Teams. Ein Extrembeispiel habe ich erlebt, da haben 15 Leute gegen 500 Entwickler gewonnen. Die Entwickler waren in ihrer tradierten Entwicklungsrichtung geblieben und die anderen haben versucht, die Prinzipien hinter dem Fall zu verstehen und daraus etwas ganz anderes zu machen. Wenn sich CISPA auch als Ausbildungsstätte brillanter, herausragender Köpfe versteht, dann ist ein großes Ziel erreicht.
Für die Erfindung von CAN Bus sind Sie 2008 mit dem Technologiepreis der Eduard-Rhein Stiftung ausgezeichnet worden. Das System haben Sie mit einigen Kollegen in den 80er Jahren bei Bosch entwickelt. Was können Sie uns darüber erzählen?
Es war gar nicht das Ziel unserer Gruppe, ein Bus-System zu entwickeln. Eigentlich waren wir angetreten, uns mit übergeordneter Optimierung des Systems Auto zu beschäftigen. Voraussetzung dazu war die Vernetzung der elektronischen Steuergeräte. Da es kein Bus-System gab, das unsere Anforderungen erfüllte, haben wir quasi nebenher den CAN-Bus entwickelt.
Mit dem CAN-Bus haben wir Anfang der 80er Jahre einige damals in der Fachcommunity als unvereinbar geltende Eigenschaften in einem seriellen Bus vereinigt. Auch hatten wir uns damals quantitative Ziele gesetzt: Der Bus sollte eine Restfehlerwahrscheinlichkeit in der stark durch elektromagnetische Impulse gestörten Umgebung eines Autos haben, die mindestens um den Faktor 10.000 geringer ist als bislang diskutierte Lösungen, er sollte den Prozessor, auf dem die Anwendungssoftware läuft, durch Bus-Management-Aufgaben nicht belasten und die Kosten sollten bei einem Zehntel der bisherigen Lösungen liegen.
Offenkundig haben wir unser Ziel erreicht. Der CAN-Bus kam in den unterschiedlichsten Feldern zum Einsatz. Weltweit wurden inzwischen mehrere Milliarden integrierte Schaltkreise mit CAN-Kontrollern gefertigt.
Das klingt nach einer außergewöhnlichen Teamleistung. Was hat Ihr Team ausgemacht?
Was war unsere Stärke? Wir waren ein kleines Team und sind gegen Mannschaften bei Wettbewerbern angetreten, die mindestens 10- bis 20-mal größer waren. Die hatten aber keine Chance. Wir waren fünf Leute aus Physik, Elektrotechnik und Software-Entwicklung, und haben Dinge einfach solange durchdiskutiert, bis wir gesagt haben: "Jetzt haben wir es verstanden." Wir haben uns am Anfang so was von beharkt, weil wir uns sprachlich nicht verstanden haben. Bis wir begriffen haben, dass das, was der Physiker so bezeichnet, bei den Elektrotechnikern eben anders heißt. Ich glaube, diese Auseinandersetzungen haben eine ungewöhnlich stringente geistige Disziplin erzeugt. Probleme gab es immer wieder: Es gibt kaum ein Projekt ohne tiefes Schlagloch und die zeigen sich meistens am Freitagnachmittag. Aber wir waren so von der Sache begeistert, dass wir dann abends um 21 Uhr noch über den Problemen gehirnt haben, bis wir dachten: "Das lässt sich lösen." Ohne Spaß und Leidenschaft kein Erfolg.
Mit Ihrem Eintritt in den Aufsichtsrat des CISPA Helmholtz-Zentrums für Informationsssicherheit übernehmen Sie auch Verantwortung für die Geschicke des Zentrums. Was hat Sie dazu bewogen und worauf freuen sie sich am meisten bei dieser Aufgabe?
Was mich natürlich freut, ist das Thema an sich. Cybersicherheit und vertrauenswürdige Künstliche Intelligenz sind Themen von höchster Relevanz für die Gesellschaft und für Unternehmen. Wenn ich CISPA begleiten und dabei einen kleinen Beitrag leisten kann, freut mich dies. Und die inhaltliche Auseinandersetzung dazu ist mit Sicherheit etwas, das ich genießen werde.
Und für mich schließt sich auch ein Kreis mit der Cybersecurity. Es war vermutlich im Jahr 2013, da bin ich auf der Hannover Messe der damaligen Bundesministerin für Forschung, Frau Prof. Wanka, begegnet. Nach einem kurzen Gespräch fragte sie mich, was die großen Forschungsthemen aus meiner Sicht seien. Ich sagte spontan, „Cybersicherheit“. Daraufhin meinte der Staatssekretär, der sie begleitete: „Dafür interessiert sich kein Mensch.“ Ich: „Das stimmt nicht.“ Er: „Vielleicht interessieren Sie sich dafür, aber sonst niemand.“ Das war das Ende dieser Unterhaltung zur Cybersecurity und es ist dann ja auch lange nichts passiert. Insofern schließt sich jetzt für mich ein Kreis, nachdem ich in der Kommission beteiligt war, in der es um die Einordnung von CISPA in die Helmholtz-Gemeinschaft ging. Jetzt bringe ich mich als Aufsichtsrat ein.
Gibt es ein Thema, mit dem Sie sich im CISPA-Aufsichtsrat besonders einbringen möchten und das Ihnen besonders stark am Herzen liegt?
Ich trete nicht mit einer vorgefassten Agenda oder einem festen Ziel an. Ich habe mir vorgenommen, mit offenen Augen und offenen Ohren den Organismus CISPA bestmöglich zu verstehen. Und wenn ich dann das Gefühl habe, ich könnte etwas einbringen, dann werde ich das tun. Aber zunächst lasse ich das auf mich zukommen.
Auf eine Sache werde ich achten: Eine Beobachtung aus früheren Ehrenämtern im Bereich der Forschungsorganisationen ist, dass die Nachfrage nach Rechtfertigung auf Papier zu Hunderten von Seiten führt, die die Forscher dem Geldgeber jedes Jahr abliefern müssen. Ich fand es immer ungeheuer schade für die Forschungskapazität, dass bisweilen kleinteilige Regelungen den Forscherdrang unnötig bremsen. Wenn man das auf 20-30 Seiten pro Jahr reduzieren und dann niederlegen könnte, was man tatsächlich an Forschungserkenntnis gewonnen hat, das wäre ein Gewinn. Denn man kann auch den Forschern die Freude nehmen.